Stimmen aus den Hochschulen

Wie sieht die Zusammenarbeit von Hochschulen und Unternehmen in der Praxis aus? Zwei Beispiele aus Neubrandenburg und Göttingen.

Da wäre die Sache mit der Bibliothek in der Kaufhalle. Als die Fachhochschule Neubrandenburg damit begann, ihr Hauptgebäude zu renovieren, musste die Bibliothek umziehen. Doch wohin? Das Land gab kein Geld und so musste sich Rektor Micha Teuscher etwas einfallen lassen. Zufällig schloss gegenüber ein Supermarkt, dessen Räume hat er angemietet und umbauen lassen. "Wir sind nun dort eingezogen und sehr glücklich mit dieser Entscheidung, weil die Bibliothek jetzt ein bisschen größer ist", sagt Micha Teuscher. "Allerdings kostet das alles auch viel Geld."

120.000 Euro im Jahr Miete zusätzlich zu den Renovierungskosten, an denen sich die Regierung von Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls nicht beteiligt. "Wir haben einen Gesamtetat von jährlich 14 Millionen, solche Ausgaben spüren wir dann schon sehr", sagt Micha Teuscher. Aber was solle man machen, seine Studenten müssten schließlich irgendwo Literatur finden können.

"Spannend", sagt Micha Teuscher, wenn er mit Problemen wie mit dem Preis für die Kaufhallen-Bibliothek konfrontiert ist. Dass dem Land seine Bibliothek keinen Euro wert war, wurmt den Hochschulleiter dennoch. Aber er hat etwas daraus gemacht, inzwischen hat seine Bibliothek sogar einen Preis gewonnen.

Foto: Paul Henschel
Bibliothek der Fachhochschule Neubrandenburg in der Kaufhalle

Mag sein, dass diese Gelassenheit und ein Talent zur Improvisation aus seiner Zeit in Osteuropa kommen. Damals in den 90er-Jahren beriet der Agrarökonom für eine Firma aus Bonn Unternehmen im Baltikum und in Russland beim Anpassen an kapitalistische Verhältnisse.

Im Sozialismus begleiteten die Betriebe ihre Arbeiter von der Wiege bis zur Bahre. "Das zu ändern, war für die Menschen dort ein sehr schwerer Prozess", sagt Teuscher. Danach ging der Westdeutsche Teuscher in den deutschen Osten. Und hat auch hier mit einigen Herausforderungen zu kämpfen.

Zum Beispiel mit der, dass die Hochschule Neubrandenburg mehr Geld gebrauchen könnte. Vor allem Geld, mit dem sie längerfristig planen kann. Es geht ja nicht nur um einen Platz für die Bücher. "Insgesamt gesehen ist unsere Grundfinanzierung äußerst knapp und auf Kante genäht. Viele Dinge, die wir gern tun würden, können wir nicht realisieren“, sagt Micha Teuscher. "Der Hochschul-Pakt hat für uns eine wichtige Funktion. Mit der Bundesfinanzierung können wir viele Löcher stopfen. Deshalb hoffen wir, dass sie auch weiterhin fließen wird."

Mit seinen finanziellen Sorgen ist Teuscher nicht allein, wie die Zahlen des Hochschul-Barometers belegen, die der Stifterverband einmal im Jahr herausbringt. Darin schätzen die deutschen Rektoren und Hochschulpräsidenten die finanzielle Situation ihrer Lehr- und Forschungsanstalten ziemlich negativ ein. Sie erwarten sogar, dass es noch schlechter wird. Ähnlich besorgt sehen sie in die Zukunft, wenn es um Ausstattung wie Gebäude, Labore und Bibliotheken geht.

Die meisten werden nicht wie in Neubrandenburg einen leeren Supermarkt anmieten müssen, aber Deutschlands Hochschulleiter glauben, dass die Mittel gerade ausreichen, um die vorhandene Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Mit der rasanten technischen Entwicklung können sie bei der derzeitigen finanziellen Lage nicht mithalten, sagen die meisten Rektoren und Präsidenten.

 

Wissen gegen Geld

Ein Weg, um die Mangelfinanzierung auszugleichen, ist für viele Hochschulen die Zusammenarbeit mit Unternehmen. Seit den 1980er-Jahren nimmt die Zahl an Kooperationen von Wissenschaft und Wirtschaft stetig zu. Dieser Trend wird sich fortsetzen. 70 Prozent der Hochschulen möchte die Zahl der Forschungsaufträge erhöhen, bei denen eher das Unternehmen Wissen gewinnt, während die Hochschule vor allem finanziell profitiert.

Noch deutlicher fällt das Bekenntnis zu Kooperationen aus, bei denen Unternehmen und Wissenschaft gemeinsame Erkenntnisinteressen haben: 93 Prozent aller Rektoren und Präsidenten wollen mehr davon. "Eine gute Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, bringt eine Hochschule auch immer wissenschaftlich weiter", sagt Micha Teuscher, "gerade für Fachhochschulen spielt die angewandte Forschung, bei der Professoren und Studenten ihr Wissen in der Praxis umsetzen und erproben können, natürlich eine große Rolle."

Wie für die meisten Hochschulen in Deutschland ist auch für die Fachhochschule Neubrandenburg die regionale Wirtschaft eine der am meisten geschätzten und wichtigsten Partner. Hier arbeitet sie unter anderem mit Unternehmen aus der Nahrungsmittelindustrie, einer Werft und Firmen aus dem Gesundheits- und Pflegebereich zusammen.

Ein Problem für Micha Teuscher ist, dass Ostdeutschland noch immer die "Werkbank des Westens" ist. Unternehmen haben ihre Produktion oft hierher verlagert, aber der Firmensitz, an dem die Entscheidungen über Forschungsvorhaben getroffen werden, verbleibt im Westen. Zusammengearbeitet werde dann eher mit einer Hochschule vor Ort.

 

"Insgesamt gesehen ist die Grundfinanzierung äußerst knapp, äußerst auf Kante genäht, und viele Dinge, die wir gerne würden können, können wir nicht realisieren."

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Hochschule Neubrandenburg: Die müssen uns nicht im Elfenbeinturm abholen

Kritische Öffentlichkeit

In der Öffentlichkeit werden Kooperationen von Wissenschaft und Wirtschaft zuweilen recht kritisch bewertet. Medien berichten über die Gefahr der Einflussnahme von Unternehmen auf die Forschung. Wenn Hochschule in gesellschaftlich umstrittenen Feldern wie der Gentechnik mit Unternehmen zusammenarbeitet, protestieren oft Studierende. Erst Anfang September hat die Konferenz Thüringer Studierendenschaften wieder das Einführen einer so genannten Zivilklausel gefordert, die verhindern soll, dass Hochschulen mit Unternehmen aus der Rüstungsbranche kooperieren.

Sie könne solche Proteste verstehen, sagt Ulrike Beisiegel. Die Präsidentin der Universität Göttingen ist seit langem in der Friedensbewegung aktiv, sie sagt, als Wissenschaftlerin würde sie persönlich bestimmte Kooperationen meiden. Trotzdem werde sie als Hochschulleiterin nur bei einer Zusammenarbeit einschreiten, die ethische Maßgaben verletzt. "Das ist die Freiheit der Wissenschaft", betont die Biochemikerin, und die sei ein sehr hohes Gut.

Sie versuche als Rektorin vielmehr an ihrer Universität ein Klima zu schaffen, in dem sich die Wissenschaft dem Frieden widme. Deshalb veranstaltet die Universität Göttingen eine jährliche Tagung, in der es um Nachhaltigeit und Frieden geht, hier diskutieren Unternehmen, Wissenschaftler und NGOs. "Das ist die große Aufgabe der Universitäten", sagt Beisiegel, "den gesellschaftlichen Diskurs voranzubringen."

Foto: Paul Henschel

Was die Einflussnahme auf die wissenschaftlichen Ergebnisse anbetrifft, so sagen Beisiegel und Teuscher, hätten sie kaum negative Erfahrungen gemacht. Wenn es Fragen zu klären gab, dann eher bei der Regelung von Patent- und Schutzrechten für gemeinsame wissenschaftliche Ergebnisse, erzählt Ulrike Beisiegel. Das sei aber eine Frage guter Rahmenverträge, also auch der Professionalisierung der Hochschulen. Inzwischen sei man da sehr gut aufgestellt.

Micha Teuscher wiederum muss manchmal klarstellen, dass die Fachhochschule Neubrandenburg keine Laboranten und Messtechniker zum Abschluss führt, sondern Wissenschaftler. "Manches Unternehmen hält Teile des Studiums für überflüssig oder hätte gern andere integriert", sagt Micha Teuscher. Konstruktive Kritik bespreche er durchaus im Kollegium, aber natürlich lasse man sich nicht ins Curriculum hineinreden.

Positive Zusammenarbeit

Dass beim Rektor einer ostdeutschen, nach der Wiedervereinigung gegründeten Fachhochschule, und der Präsidentin einer der ältesten und bekanntesten Universitäten des Landes in diesen Fragen eine solche Einigkeit herrscht, spiegelt die Stimmungslage in den deutschen Hochschulen wieder. 94 Prozent der Hochschulleiter berichten, dass es keinen Fall unangemessener Einflussnahme gab. Obwohl Unternehmen sowohl bei Stiftungsprofessuren als auch bei Kooperationen und gemeinsamen Forschungsstrukturen sehr viel Geld beisteuern, sagen fast alle Präsidenten und Rektoren, man habe nicht mit Beeinflussungsversuchen aus der Wirtschaft zu kämpfen. Die Zusammenarbeit wird eindeutig positiv bewertet.

Für die Zukunft wünschen sich Micha Teuscher und Ulrike Beisiegel mehr Zusammenarbeit mit Unternehmen. Das liegt sicherlich auch daran, dass beide Hochschulen - bei allen Unterschieden – eines gemeinsam haben: Sie liegen in Gegenden mit wenig Industrie. Beide Hochschulleiter sagen auch, dass es für ihre Hochschulen sehr wichtig sei, professionelles Personal zu haben, das die Kontakte zur Wirtschaft hält und intensiviert.

Foto: Paul Henschel

Aber sollten nicht vor allem Fachhochschulen angewandte Forschung betreiben, während sich die Universitäten der Grundlagenforschung widmen? Von solchen überkommenen Vorstellungen hält Ulrike Beisiegel wenig – zumindest dann, wenn Grundlagenforschung bedeute, dass sich Wissenschaftler bei ihren Forschungen ausschließlich für die eigene intellektuelle Befriedigung und nicht auch für "den gesellschaftlichen Bedarf" interessieren.

Natürlich müsse Raum sein für Experiment und Scheitern und nicht zweckgebundene Forschung, ja sie hätte es sogar gern, wenn es an den Universitäten zu einer Entschleunigung komme, wenn die Wissenschaftler weniger von einer administrativen Aufgabe zur nächsten hetzen müssten und wieder mehr Zeit hätten für Lehre und Forschung.

"Forschung ohne Geld geht in den meisten Bereichen nicht. Aber das wird manchmal überbewertet."

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Uni Göttingen: Das Geld kommt aus der Gesellschaft

Aber das Klischee vom Elfenbeinturm sei eine Sache der Vergangenheit. "Das Geld kommt aus der Gesellschaft", sagt Ulrike Beisiegel. "Und die Gesellschaft gibt das Geld in Zukunft nur weiter an die Universitäten, wenn sie auch etwas dafür erhält." Wenn sie solche Sätze sagt, wird sie sehr bestimmt, sie hatte wegen ihrer Ansichten schon die eine oder andere Diskussion mit Kollegen.

Sie erzählt von ihren eignen Erfahrungen als Wissenschaftlerin, von einer Langzeituntersuchung über die Ursachen von Diabetes bei 2.000 Lufthansa-Mitarbeitern. "Ich habe Grundlagenforschung gemacht, dabei aber auch über die Ursache einer Krankheit aufgeklärt", sagt Beisiegel "und herausgefunden, wie eine gute Therapie aussehen kann."

Der gesellschaftliche Transfer von Wissen, ist neben der Steigerung des Renomees der Hochschule, besseren Berufsperspektiven und natürlich den Finanzen eines der großen Motive für die Hochschulleiter in Deutschland, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. "Und am Ende", sagt Ulrike Beisiegel, "finde ich eine Forschung, die auch einen gesellschaftlichen Bezug hat, einfach spannender."