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Sicherheitsrelevante Forschung

Die geopolitische Lage für Deutschland und Europa hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sind zentrale Politikfelder geworden. Dabei wird klar, dass sich auch die Wissenschaft diesen neuen Themen stellen muss. Sicherheitsrelevante Forschung ist demnach für deutsche Hochschulen kein Randthema mehr.

 
Dennoch berichtet rund die Hälfte der Hochschulleitungen, dass die Bedeutung des Themas in den letzten fünf Jahren für ihre Einrichtung nicht gestiegen ist – trotz geopolitischer Zeitenwende. Zugleich bleibt das Thema in Deutschland durch die historische Trennung von ziviler und militärischer Forschung sensibel.

Rund ein Viertel der Hochschulen verfügt über eine Zivilklausel oder vergleichbare Regelungen, die Forschung mit militärischem Bezug einschränken. Während diese Klauseln das Ziel verfolgen, unethische Forschung zu verhindern, entsteht zunehmend eine Debatte darüber, ob diese auch sicherheitsrelevante Felder wie Cybersicherheit oder Forschung zum Thema gesellschaftlicher Resilienz in Krisenzeiten behindern können. Gleichzeitig haben die Zivilklauseln ganz unterschiedlichen Einfluss auf die tatsächliche Umsetzung von Projekten. Während sie an manchen Hochschulen als strenge Richtlinie ausgelegt werden, vermelden andere Hochschulen, dass trotz Zivilklausel Forschungsprojekte zu sicherheitsrelevanten Themen umgesetzt werden können.
 

 
Trotz dieser Spannungen sehen Hochschulen erhebliches Potenzial in dem Thema. Ein Ausbau der sicherheitsrelevanten Forschung wird nicht als Einschränkung, sondern als Chance betrachtet: Jeweils rund ein Drittel der Hochschulleitungen verbindet damit die Aussicht auf neue technologische Innovationen und zusätzliche Ressourcen. Auch ein konkreter Beitrag zur gesellschaftlichen Sicherheit – etwa durch Forschung zu kritischen Infrastrukturen oder Cyberabwehr – wird von fast einem Drittel als Ziel genannt. Die Bereitschaft, Verantwortung in diesem Bereich zu übernehmen, ist damit klar erkennbar.

Gleichzeitig stoßen die Hochschulen auf strukturelle Hemmnisse. Sieben von zehn Hochschulleitungen nennen hohe bürokratische Aufwände als zentrales Problem, insbesondere bei Exportkontrollen oder komplexen Drittmittelverfahren. Zwei Drittel beklagen fehlende Infrastrukturen – von Laboren über IT-Sicherheit bis hin zu Zertifizierungskapazitäten. Diese Defizite bremsen Engagement und verhindern, dass vorhandene Kompetenzen voll zur Geltung kommen. Es zeigt sich, dass die Hochschulen weniger an mangelnder Motivation scheitern als an fehlenden Strukturen und klaren Regelungen, die praktikable Forschung ermöglichen.
 

 
In der Förderpolitik signalisiert eine Mehrheit der Hochschulen die Notwendigkeit neuer Programme auf europäischer Ebene. Bislang sind Forschung für zivile Anwendungen (Horizon Europe) und Verteidigungsforschung (European Defence Fund) streng voneinander getrennt, was Innovation mit möglichem Doppel- oder Mehrfachnutzen erschwert. Die europäische Kommission hat mit ihrem Vorschlag zu FP10, dem Nachfolgeprogramm von Horizon Europe, erstmals vorgesehen, dass das Programm explizit Dual-Use-Forschung unterstützen kann und damit die bisherige rein zivile Ausrichtung aufweicht.

Zwar bleiben der European Defence Fund und FP10 formal getrennt, doch sollen der European Innovation Council sowie ausgewählte Cluster künftig deutlich engere Synergien zwischen ziviler und sicherheitsrelevanter Forschung ermöglichen. Gleichzeitig ist in den laufenden Verhandlungen umstritten, wie weit diese Öffnung gehen soll, da Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen vor rechtlichen Unsicherheiten, Einschränkungen der Forschungsfreiheit und höherer administrativer Komplexität warnen.

Für die Befragung zu diesem Thema wurde die Definition des Gemeinsamen Ausschusses von DFG (Deutscher Forschungsgemeinschaft) und Leopoldina zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung zugrunde gelegt: Sicherheitsrelevante Forschung umfasst wissenschaftliche Arbeiten, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie Wissen, Produkte oder Technologien hervorbringen, die von Dritten missbraucht werden können, um Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben zu schädigen. Diese wird als "besorgniserregend" bezeichnet, wenn der Missbrauch unmittelbar erfolgen kann und die möglichen Schäden erheblich sind.

 

Europäische Debatte zur Dual-Use-Forschung

Mit dem White Paper zu Technologien mit Dual-Use-Potenzial hat die Europäische Kommission Anfang 2024 eine breite Konsultation angestoßen. Ziel ist es, die Förderarchitektur der EU so weiterzuentwickeln, dass Forschung mit sicherheitsrelevanten Bezügen besser unterstützt wird. Hintergrund ist die wachsende Bedeutung von Feldern wie Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien, Cybersicherheit oder Raumfahrt, deren Anwendungen kaum noch eindeutig zivil oder militärisch zu trennen sind.

Diskutiert werden drei Optionen:

  • Optimierung bestehender Programme: Durch eine engere Verzahnung von Horizon Europe und dem Europäischen Verteidigungsfonds könnten Synergien genutzt werden, ohne dass neue Rechtsgrundlagen nötig wären.
  • Gezielte Öffnung von Horizon Europe: In ausgewählten Bereichen würde die bisherige ausschließliche Fokussierung auf zivile Anwendungen
    aufgehoben, sodass auch Projekte mit sicherheitsrelevantem Bezug förderfähig wären.
  • Eigenständiges Instrument: Ein neues Programm für Dual-Use-Forschung mit eigenem Budget und eigener Governance würde die Sichtbarkeit und Verbindlichkeit erhöhen, aber auch die Komplexität der Förderlandschaft steigern.
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